Plenum in deutscher Sprache. Die gesellschaftspolitischen Spannungen in Deutschland und anderen Ländern Mittel- und Osteuropas werfen Fragen nach der Rolle der Fotografie als Medium der öffentlichen Vermittlung auf. Das erste Plenum setzt sich ausgehend vom Themenschwerpunkt „1990 freilegen“ mit fotografischer Praxis als gesellschaftlich wirksames Handeln seit der Wende auseinander. Die unterschiedlichen Herangehensweisen von Falk Haberkorn, Elske Rosenfeld und Andreas Rost zeigen verschiedene Methoden auf, Zeitgeschehen öffentlich zu reflektieren und neu zu erzählen.
Wie können scheinbar unsichtbare, langwierige Prozesse, geologische Veränderungen sowie der allmähliche Wandel einer Region sichtbar gemacht werden? Seit mehreren Jahren erforscht, dokumentiert und befragt die Künstlerin Susanne Kriemann das Gebiet der ehemaligen Wismuth AG, dem von 1945 bis 1990 weltweit viertgrößten Produzenten von Uran in Sachsen und Thüringen. Während ihrer Feldforschung trifft sie nicht nur auf ehemalige MinenarbeiterInnen, sondern auch auf GeologInnen und BiologInnen der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, die eine mögliche Re-Naturalisierung des Areals untersuchen. Dabei entwickelt sie experimentelle Aufnahmestrategien, wie Heliogravüren mit Pigmenten aus umweltschädlichen Pflanzen, und sucht die radioaktive Strahlung von Objekten, Pflanzen, die umweltschädliche Stoffe konserviert haben, und Lebewesen sichtbar zu machen.
Wie erfasst die Fotografie gesellschaftliche Entwicklungen in ihrer Alltäglichkeit und langen Dauer? Für ihr Langzeitprojekt „La Vallée“ (2013 – 2016) haben Nicolas Giraud und Bertrand Stofleth den Zerfall der ältesten Industrieregion Frankreichs, dem Gebiet zwischen Lyon und Saint-Étienne, dokumentiert.
Eyal Weizman ist Architekt und Direktor des Center for Research Architecture am Goldsmiths College der Universität London. Er ist Mitbegründer der unabhängigen, ebenfalls am Goldsmiths angesiedelten Forschungsgruppe Forensic Architecture. In der Hauptausstellung präsentieren Forensic Architecture die vom Tribunal NSU-Komplex auflösen, dem Haus Der Kulturen Der Welt (HKW) und der documenta14 beauftragte Arbeit „77sqm_9:26min“ zur Ermordung von Halit Yozgat durch den rechtsextremen NSU in Kassel im Jahr 2006 und zur Falschaussage des dabei anwesenden Andreas Temme.
Über zehn Jahre lang blieben die Beweggründe hinter den rassistisch motivierten Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verborgen. Die TeilnehmerInnen des zweiten Plenums stellen Formen der Wissensproduktion gegen das Versagen von Behörden vor und diskutieren über kollektiven Zusammenhalt. Ayşe Güleç und Mareike Bernien präsentieren eine feministische und migrantisch situierte Perspektive auf die NSU-Morde. Sie untersuchen die komplexen Kontexte normativer Wissensproduktion und Repräsentation und suchen nach Strategien, ignorierte Positionen sichtbar zu machen. Daran knüpft die Neuproduktion von Paula Bulling und Anne König an: drei grafische Kurzgeschichten, die sich mit drei Akteurinnen beschäftigt, die direkt oder indirekt mit dem NSU zu tun hatten – als aktive Unterstützerin des NSU, als scheinbar blasse Verwaltungsbeamte und als Angehörige eines der Mordopfer. Christian Gesellmann und Josa Mania Schlegel blicken aus journalistischer Perspektive auf den Rechtsruck in der Gesellschaft, insbesondere in Sachsen.
Die Gräben der „Zerrissenen Gesellschaft“ ziehen sich auch durchs Digitale und wirken von dort aus zurück auf das politische Geschehen. Ein Beispiel dafür ist die Rolle von Meme-Kampagnen in sozialen Netzwerken bei Wahlen. Politische Debatten und Meinungsbeeinflussung finden heute verstärkt im digitalen Raum statt, wo Troll-Truppen eskalierende Gefühle von Hass, Wut und Fremdenfeindlichkeit schüren. Diskutiert werden künstlerische Interventionen im Digitalen, insbesondere fotografische Strategien und damit verbundene politische und soziale Praxen der digitalen Gesellschaft. In diesem Plenum stellen UBERMORGEN.com ihr fortlaufendes Projekt „Binary Primitivism“ vor und sprechen im Anschluss mit Ana Teixeira Pinto und Daphne Dragona.
Binary Primitivism: Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen die Fähigkeit verloren haben, die Welt zu verstehen. Manche sagen, das sei so, weil wir alles verstehen! Um affirmativ dagegen steuern zu können, muss das 21. Jahrhundert eines des Transhumanismus, des Akzelerationismus, der Neoreaktion (NRx), der Ästhetik, der Singularität und der Psychopathologie der Psychopathie sein. Wir nennen das „Binary Primitivism“. Die signifikanten Trägernetzwerke sind welche neoreaktionärer, aus ihrem Silicon Valley-Biotop heraus handelnden PsychopathInnen (Alt-Right Nerds). Um diesen andauernden Prozess mitzugestalten, darin zu interagieren und das Imaginäre zu kolonisieren, produzieren wir (u.a. aus recycelter Fotografie) High-Tech-Heraldik und Hypno-Porn als ästhetische Signifikanten und auf Erkennungsverfahren basierende Bladeserver (Webseiten).
18:00 Angriff auf eine dicke Tür aus Glas, Alexander Kluge, DE 2018, In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod, Edgar Reitz & Alexander Kluge, DE 1974, 86 min, OF mit engl. UT
20:00 Electrical Gaza, Rosalind Nashashibi, UK 2015, 18 min, OF mit engl. UT
20:30 Estate, a Reverie, Andrea Luka Zimmerman, UK 2016, 83 min, OF (engl)
19:00 Into the Unknown, Deimantas Narkevičius, LT 2009, 19 min, OF (engl)
19:30 Namibia Today, Laura Horelli, DE/FI/NA 2018, 21 min, OF (dt., engl.) mit engl. UT, im Anschluss Q & A Laura Horelli
20:30 The Conspicuous Parts, Assaf Gruber, DE/US/PL 2018, 35 min, dt. & engl. mit dt. UT, im Anschluss Q & A Assaf Gruber
21:30 The Dud Effect, Deimantas Narkevičius, LT 2008, 16 min, OF mit engl. UT
Der Workshop nimmt die Zwischen- und Übergangszeit nach der Wende des Herbstes 1989 in Ostdeutschland und deren fotografische Spuren in den Blick. Drei Impulsreferate und eine Podiumsdiskussion mit AkteurInnen der Zeit werden exemplarisch erörtern, auf welche Weise Fotografinnen und Fotografen den gesellschaftlichen Umbruch begleitet und bildlich – oder auch auf andere Weise – aufgezeichnet sowie be- und verarbeitet haben. Im Zentrum steht die Frage, ob und inwiefern die Fotografie ein geeignetes Mittel sein kann, den alle Lebensbereiche umfassenden Umbruch der Jahre ab 1990 für die damals Betroffenen wie auch für die nachgeborenen Generationen fassbar und begreifbar zu machen. Im Anschluss daran ist auch danach zu fragen, welche Rolle fotografische Bilder und Bildarchive heute für eine Verständigung über die Ursachen, Strukturen und Bewältigungsformen aktueller gesellschaftlicher Verwerfungen spielen können.
Mit freundlicher Unterstützung der VolkswagenStiftung und des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
15:00 Bertram Kaschek
Bilder und Notate. Christian Borcherts Aufzeichnungen von 1990.
15:40 Philipp Freytag
Fotografie und Zeitgeschichte. Frank Gaudlitz’ Bilder vom „Abzug der Russen“ zwischen Dokument und Reflexion
16:20 Agneta Jilek
„Luxus Arbeit“. Eine Foto-Textdokumentation über Arbeiterinnen nach dem Ende der Planwirtschaft.
17:00 Podiumsdiskussion
mit Christiane Eisler, Matthias Hoch, Harald Kirschner und Andreas Rost
19:30 GOMP: Tales of Surveillance in Norway 1948 – 89, Lene Berg, NO 2014, 84 min, OF mit engl. UT
21:00 Group Portrait with Explosives, Declan Clarke, DE/IE/CZ 2014, 42 min, OF (engl.)
22:00 Was beantwortet werden kann, Gespräch mit Nicolas Siepen (Künstler, Filmemacher, Theoretiker), dt. oder engl. nach Bedarf
1990 erhält Ute Mahler vom Magazin „Stern“ den Auftrag, den Spitzenkandidaten der SPD, Ibrahim Böhme, im DDR-Wahlkampf zu begleiten. Kurze Zeit später fliegt Böhme als Stasi-Spitzel auf. Mahler wird Zeugin eines der größten Politskandale der Nachwendezeit und schafft mit ihrer Serie ein beeindruckendes Porträt: „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass Böhme mir Rollen zeigt. Die spielte er gut, er wirkte erst einmal überzeugend. Der Mann bot mir immer mal wieder einen anderen Böhme an.“ Das Gespräch findet in der Ausstellung „Ute Mahler: Ibrahim Böhme“ in der Galerie Dukan auf der Spinnerei statt. Mit Ute Mahler spricht Anne König, Autorin und Verlegerin. Zusammen mit Jan Wenzel kuratiert sie das 8. Festival für Fotografie f/stop Leipzig.